Clairet – Die Rettung des Mittagsweines
Der Mittagswein ist eine fast ausgestorbene Gattung in Deutschland. Und das, obwohl der Handel Jahr für Jahr das gleiche hohe Lied singt vom Spargelwein, Frühlingswein, Terrassenwein, Grillwein, Winterwein und was nicht noch alles für Wein. Alles natürlich stets bewusst und in Moderation, denn Mäßigung ist es, die heute den bewussten Zecher auszeichnet. Man trinkt heute weniger, aber dafür angeblich besser.
Eine Kategorie ist bei allem „besser und bewusster trinken“ heutzutage allerdings unter die Räder gekommen:
Der Mittagswein
Der Mittagswein ist ein Solitär. Sein Umfeld ist eine ebenfalls aussterbende Spezies: Das Mittagessen. Das klassische Mittagessen, die Zäsur des Arbeitstages, wurde vor langer Zeit abgelöst vom Business-Lunch. Der ist bereits vom Gastronomen mit maximal 30 Minuten berechnet, dabei muss alles leicht und schnell verfügbar sein, denn Zeit ist Geld und der Kaffee meist schon im Angebot inkludiert. Alkohol? Auf keinen Fall! Man muss schließlich noch schaffenskräftig bleiben für die zweite Hälfte des Tages. Die Spannung darf nicht nachlassen oder gar abfallen. Doch selbst die geschürte Hast des Business Lunches wird noch übertroffen von den unzähligen Angeboten, die allesamt to go sind, d.h. zum weglaufen, so genussfeindlich präsentierten sie sich.
Der Mittagswein hingegen ist ein freundliches Getränk
Er existiert in einem Umfeld, das sich der Kontemplation und der Pause im eigentlichen Sinne verschrieben hat und Essen nicht allein als Aufnahme von lebenswichtigen Nährstoffen und Spurenelementen, sondern vor allem als Genuss begreift.
Doch was hat das mit Clairet zu tun? Einiges. Denn ebenso wie der Mittagswein droht der Clairet fast zu verschwinden. Der Wein, der in England lange Zeit synonym für Bordeaux-Wein per se stand ist heute kaum noch relevant oder wird gar nicht wahrgenommen. Das liegt zum einen natürlich daran, dass er in Deutschland nie die Bedeutung hatte wie in England, wo er auch heute noch die größte Marktrelevanz hat. Zum anderen sind die Marktanteile des Clairets über die letzten Jahre dramatisch geschrumpft. Und doch halten beharrliche Liebhaber an ihrem Clairet fest. Was ist da los?
Clairet wird zu Unrecht oft als eine Art Rosé missverstanden,
… was seinem Wesen nur unzureichend gerecht wird. Dies holt ihn auch zurück von der Terrasse, auf die der Rosé oft im Sommer als Terrassenwein verbannt wird. Der Clairet nämlich gehört an den Tisch, denn er ist ein Rotwein, kein Rosé. Zugegeben, ein heller Rotwein, aber nichtsdestotrotz ein Rotwein. Im Gegensatz zu den „richtigen“ Rotweinen, also den weltberühmten Bordeaux-Weinen, wird er nur kurz auf den Schalen vergoren, bevor er abgepresst und weiter verarbeitet wird. Daher rührt auch sein Name, der sich auf die hellere Farbe als die der anderen Rotweine bezieht, denn durch den kurzen Kontakt mit den Schalen werden bei weitem nicht so viele Farbstoffe extrahiert wie bei regulärem Rotwein. Trotzdem strahlt er in transparentem, hellem Rot, was ihn nicht nur qua seines Herstellungsprozesses, sondern auch seiner im Vergleich dunkleren Farbe über den Rosé erhebt.
Früher standen teilweise auch noch rote und weiße Trauben gemischt im Weingarten und bildeten so den klassischen Mischsatz.
Diese Variante ist heute aber weitestgehend verschwunden und auch die Clairets werden sortenrein angebaut und danach verschnitten.
Dabei wird beim Clairet meist auf überbordenden Holzeinsatz verzichtet, um seine frische Frucht und beschwingten Charakter zu erhalten. Und weniger Holz, weniger Farbe und meist auch etwas weniger Alkohol machen ihn letztlich zum idealen Mittagswein. Fruchtbetont und saftig ist er ein perfekter Allrounder, sei es zu Vorspeisen, Fisch oder Fleisch.
Insbesondere zu Pasta spielt er seine Qualitäten aus und erleichtert so dem zeitgenössischen Zecher mit Bewusstsein die kniffelige Wahl zur Mittagszeit zwischen Weiß oder Rot – Clairet it is!
Santé!
Von: Sebastian Bordthäuser
Sebastian Bordthäuser ist freiberuflicher Sommelier, Autor und Journalist. Über sich selbst sagt er, dass er alle Getränke liebt – vor allem aber einen guten Wein. Am liebsten beschäftigt er sich mit sensorischen Themen, Barkultur, Frankreich und der Weingeschichte.